Stadiontour - Fußballkultur in Gelsenkirchen, 07.05.2023

Stadiontour - Fußballkultur in Gelsenkirchen zwischen Mythos S04 und Helden der Kreisliga

Im „Land der tausend Derbys“ (dem von Hartmut Hering 2002 herausgegebenen Buch) hat Gelsenkirchen als Fußballstadt eine ganz besondere Bedeutung. Die Fußballkultur in Gelsenkirchen kennen zu lernen -aktuell und mit ihren Legenden der Vergangenheit-: das sollte unsere Stadiontour am 7. Mai 2023 ein wenig ermöglichen.

Der „Mythos S04“ mit der legendären „Glückauf-Kampfbahn des F.C. Gelsenkirchen-Schalke 04“, wie konnte es anders sein, bildete den Auftakt. Thomas Philippi von der DJK Teutonia Schalke-Nord, dem derzeitigen Nutzer der Platzanlage, erinnerte an die Ursprünge des späteren Ausnahmeklubs. Dieser war hervorgegangen aus Jungbergleuten und Fabriklehrlingen im Umfeld der Zeche Consolidation I/IV, in deren Bereich 1928 das Stadion am (heutigen) Ernst-Kuzorra-Platz erbaut wurde. Meisterschaften wurden hier zwar nie gefeiert, wohl aber unzählige spektakuläre Spiele der Oberliga-West und später der Bundesliga vor meist völlig überfüllten Zuschauerrängen ausgetragen.

Ausgestattet mit der in Gelsenkirchen nötigen Immunisierung „Zeckenschutz“, einem spontanen Geschenk aus der Gaststätte Bosch (Vereinslokal des S04), machten sich die 18 TeilnehmerInnen der Tour auf den Weg. Es ging durch das Hafen-Gebiet, am Rhein-Herne-Kanal entlang durch den Nordsternpark zum nächsten Stadion mit großer Fußball-Geschichte: dem Fürstenberg-Stadion in Gelsenkirchen- Horst, ebenfalls 1928 im Arbeiterwohnbezirk der Zeche Nordstern gebaut. Reinhold Adams, leidenschaftlicher Stadtteilhistoriker in Horst, versetzte uns ZuhörerInnen mit famosem Detailwissen und viel Herzblut in die große Zeit der „Emscher-Husaren“, des STV Horst-Emscher. 1967 gewannen diese als krasse Außenseiter die deutsche Amateurmeisterschaft. Lange Zeit ein ebenbürtiger Lokalrivale von Schalke 04, setzte in den 1970er Jahren der Niedergang ein, den aufzuhalten eine Fusion des Arbeitervereins STV mit dem katholischen DJK Horst 08 niemals eine Option war. Das schöne Stadion inmitten von Horst-Süd, mittlerweile ansehnlich hergerichtet, ist heute Spielstätte der Gelsenkirchen Devils (American Football) und des BV Horst-Süd (Kreisliga). Über die Mühen des Alltags (seit Corona) in einem Verein wie BV Horst-Süd, aber auch bewundernswertes Engagement junger EhrenamtlerInnen etwa für den Mädchenfußball, konnten wir schließlich auch etwas erfahren.

12 Kilometer nördlich lag unser nächstes Ziel. Vorbei am Schloss Horst, durch Horst-Nord, die Bülser Heide und Hassel erreichten wir die Sportanlage Lüttinghof. Dieses Beispiel einer „Bezirkssportanlage“ der Stadt Gelsenkirchen, mit einem 70.000 qm großen Areal bestand seit Ende der 1960er Jahre weitgehend unverändert. Jetzt wird die Anlage zu einem multifunktionalen „Sportpark“ umgebaut, um sich über den klassischen Vereinssport hinaus mit Sportangeboten für die BewohnerInnen von Hassel zu öffnen. Mit Christian Fischer, dem Vorsitzenden des Fußballkreises Gelsenkirchen, konnte uns jemand mit viel Innensicht die Organisationsstrukturen des Amateurfußballs in Gelsenkirchen erläutern sowie Probleme und Perspektiven verdeutlichen. Ergänzt wurde er dabei von Klaus Lindner, Präsident von Gelsensport mit interessanten Einblicken in die Situation der Sportstätten in Gelsenkirchen, für die an vielen Stellen erheblicher Modernisierungsbedarf existiert. Aktuell teilen sich der 1919 gegründete SC Hassel, lange Zeit hinter Schalke 04 erfolgreichste Vereinsmannschaft in Gelsenkirchen, und der 1993 gegründete YEG Hassel (Yunus Emre Genclik) die Spielstätte. Mittlerweile ist YEG Hassel der erfolgreichere Verein. Es schloss sich ein anregendes Gespräch mit Cetin Akyürek (Vorsitzender YEG Hassel) und Jörg Böving (Vorstandsmitglied SC Hassel) an. Dabei ging es um die Gründungsgeschichte von YEG Hassel, die integrationspolitische Problematik türkischer Vereine, die alltägliche Koexistenz zweier Vereine auf einer Spielstätte und schließlich den Umgang mit Diversität im Fußballalltag der Amateurligen.

Die Tour führte uns danach durch den Glückaufpark Hassel, vorbei an der Platzanlage des SSV Buer (Löchterheide) durch Resse zur 12 Kilometer südöstlich liegenden Bezirkssportanlage „Im Emscherbruch“. Hier spielen ein Traditionsverein“, Resse 08, und Viktoria Resse, das sportlich aktuell deutlich erfolgreicher ist. Beide Vereine versuchen offenbar neue Wege des Vereinslebens über den traditionellen Fußballsport hinaus zu gehen. Dafür sprechen Angebote wie „Walking Football“ oder der „Bike Park“ auf der Anlage.

Durch den Resser Wald und über die Erzbahntrasse führte der Weg zum Südstadion in Ückendorf. Die 1967 erbaute geschichtsträchtige Spielstätte hatte ihre große Zeit mit der SG Eintracht Gelsenkirchen in der 2. Liga West, und der Regionalliga West. Aktuell steht das Südstadion exemplarisch für die überfällige Sanierung städtischer Spielstätten. Bei Bier und Bratwurst berichteten Gerd Eschenröder (ETUS Gelsenkirchen) und Jens Polleit (SG Eintracht) als Vertreter der beiden Vereine, die seit einiger Zeit diese Spielstätte gemeinsam nutzen. Seit Jahren wird versprochen, das Südstadion bedarfsgerecht umzubauen, doch bisher blieben die von der Stadtverwaltung zugesagten Hilfen aus.

Eine ganze andere, abseits der im DFB organisierten Fußballwelt erwartete die TeilnehmerInnen nach ca. 4 km Fahrradstrecke über ein Teilstück des RS 1 und anschließend durch den Mechtenberg-Park am Halfmannshof, die Spielstätte der DJK Schwarz-Weiß Gelsenkirchen (Kreisliga). Dieser Aschenplatz diente auch „Fortuna Unglück“, einem 1979 gegründeten freien Zusammenschluss von Fußballbegeisterten als Platz für das wöchentliche Fußballspielen. Als „Meister der sportlichen Haltung“ verstand Fortuna sich als Teil einer links-alternativen Fußballkultur, die sich damals in der Bundesrepublik herausgebildet hatte. Fortuna erreichte 1998 ihren größten Erfolg mit einem 22. Platz bei der deutschen Alternativfußballmeisterschaft in Bremen (unter dem Motto „Es gibt etwas Besseres als den DFB“ in Anlehnung an die Bremer Stadtmusikanten). Fortuna zelebrierte Fußballspielen als „Kultur“, ganz im Geiste des Mitgründers und der Seele Fortunas, Ulrich „Spiggi“ Spiegelberg (1950-2018). „Vereinsversammlungen“ hatten eher den Charakter von Happenings. Günter Jahn und Utz Küppers konnten als seinerzeit Aktive über die Gründungs- -und Vereinsgeschichte berichten, Manfred Wieczorek über den aktuellen Spielbetrieb bei Fortuna, den es nach wie vor jeden Montagabend gibt. Mittlerweile herrscht ein etwas toleranterer Umgang mit dem von DFB und DFL organisierten Fußballbetrieb, immer jedoch herrscht ein Geist, der sportlich quer zum Leistungsprinzip („Wichtich is aufm Platz“) steht und einen kulturellen Anspruch hochhält (literarisch und musikalisch).

Den Abschluss der Stadiontour bildete der Besuch der Sportanlage an der Dessauer Straße, Spielstätte des Kreisligisten SV Union Neustadt 73. Nach kurzer Fahrt durch den Rheinelbepark, vorbei am Wissenschaftspark sowie Justizzentrum empfing uns der Vereinsvorsitzende, Wolfgang Jeske, in einer Sportanlage mit gepflegtem Rasen-und Aschenplatz inmitten des Stadtquartiers vollständig eingefriedet, wo aktuell auf dem Aschenplatz der Spielbetrieb noch im Gange war (Kreisliga A). Wie viele Vereine in Gelsenkirchen, hat auch der Neustädter Verein mit den Vereinsfarben Blau-Gelb eine Fusionsgeschichte. Gegründet 1973 als SV Neustadt 73 fusionierte der Verein 1998 mit der Union Gelsenkirchen 55 und trug fortan den Namen SV Union Neustadt 73. Die Platzanlage an der Dessauer Straße hat eine noch längere Geschichte, die eng mit dem Gußstahlwerk in Ückendorf (heute Wissenschaftspark) verbunden ist. Dieser von den Nationalsozialisten im Krieg zur Rüstungsproduktion genutzte Großbetrieb stellte mit „Gelsenguß Gelsenkirchen“ den in den Jahren des Weltkriegs hinter Schalke 04 in der „Bereichsliga Westfalen“ erfolgreichsten Gelsenkirchener Fußballverein.

Es hat eine Reihe sehr positiver Rückmeldungen gegeben.Wir haben vor, die Stadiontour 2024 in ähnlicher Art zu wiederholen. Wer Interesse daran hat, sollte sich melden und wird dann über den Termin informiert.

Günter Jahn, Wolfram Schneider

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https://gelsenkirchen.adfc.de/artikel/stadiontour-fussballkultur-in-gelsenkirchen

Häufige Fragen von Alltagsfahrer*innen

  • Was macht der ADFC?

    Der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club e.V. (ADFC) ist mit bundesweit mehr als 190.000 Mitgliedern, die größte Interessenvertretung der Radfahrerinnen und Radfahrer in Deutschland und weltweit. Politisch engagiert sich der ADFC auf regionaler, nationaler und internationaler Ebene für die konsequente Förderung des Radverkehrs. Er berät in allen Fragen rund ums Fahrrad: Recht, Technik, Tourismus.

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  • Was bringt mir eine ADFC-Mitgliedschaft?

    Radfahren muss sicherer und komfortabler werden. Wir nehmen dafür – auch Dank Ihrer Mitgliedschaft – nicht nur Einfluß auf Bundestagsabgeordnete, sondern setzen uns auf Landes- und Kommunalebene für die Interessen von Radfahrern ein. Für Sie hat die ADFC Mitgliedskarte aber nicht nur den Vorteil, dass wir uns für einen sicheren und komfortablen Radverkehr einsetzen: Sie können egal, wo Sie mit Ihrem Fahrrad unterwegs sind, deutschlandweit auf die AFDC-Pannenhilfe zählen. Außerdem erhalten Sie mit unserem zweimonatlich erscheinenden ADFC-Magazin Information rund um alles, was Sie als Radfahrer politisch, technisch und im Alltag bewegt. Zählen können ADFC-Mitglieder außerdem auf besonders vorteilhafte Sonderkonditionen, die wir mit Mietrad- und Carsharing-Anbietern sowie Versicherern und Ökostrom-Anbietern ausgehandelt haben. Sie sind noch kein Mitglied?

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  • Was muss ich beachten, um mein Fahrrad verkehrssicher zu machen?

    Wie ein Fahrrad verkehrstauglich auszustatten ist, legt die Straßenverkehrszulassungsordnung (StVZO) fest. Vorgesehen sind darin zwei voneinander unabhängige Bremsen, die einen sicheren Halt ermöglichen. Für Aufmerksamkeit sorgen Radler*innen mit einer helltönenden Klingel, während zwei rutschfeste und festverschraubte Pedale nicht nur für den richtigen Antrieb sorgen. Je zwei nach vorn und hinten wirkende, gelbe Rückstrahler an den Pedalen stellen nämlich darüber hinaus sicher, dass Sie auch bei eintretender Dämmerung gut gesehen werden können. Ein rotes Rücklicht erhöht zusätzlich die Sichtbarkeit nach hinten und ein weißer Frontscheinwerfer trägt dazu bei, dass Radfahrende die vor sich liegende Strecke gut erkennen. Reflektoren oder wahlweise Reflektorstreifen an den Speichen sind ebenfalls vorgeschrieben. Hinzu kommen ein weißer Reflektor vorne und ein roter Großrückstrahler hinten, die laut StVZO zwingend vorgeschrieben sind.

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  • Worauf sollte ich als Radfahrer achten?

    Menschen, die Rad fahren oder zu Fuß gehen, gehören zu den ungeschützten Verkehrsteilnehmern. Sie haben keine Knautschzone – deshalb ist es umso wichtiger, sich umsichtig im Straßenverkehr zu verhalten. Dazu gehört es, selbstbewusst als Radfahrender im Straßenverkehr aufzutreten, aber gleichzeitig defensiv zu agieren, stets vorausschauend zu fahren und mit Fehlern von anderen Verkehrsteilnehmern zu rechnen.Passen Sie Ihre Fahrweise der entsprechenden Situation an und verhalten Sie sich vorhersehbar, in dem Sie beispielsweise Ihr Abbiegen durch Handzeichen ankündigen. Halten Sie Abstand von Lkw, Lieferwagen und Kommunalfahrzeugen. Aus bestimmten Winkeln können Fahrer nicht erkennen, ob sich seitlich neben dem Lkw Radfahrende befinden. Das kann bei Abbiegemanövern zu schrecklichen Unfällen führen. Beachten Sie immer die für alle Verkehrsteilnehmer gültigen Regeln – und seien Sie nicht als Geisterfahrer auf Straßen und Radwegen unterwegs.

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  • Was ist der Unterschied zwischen Pedelecs und E-Bikes?

    Das Angebot an Elektrofahrrädern teilt sich in unterschiedliche Kategorien auf: Es gibt Pedelecs, schnelle Pedelecs und E-Bikes. Pedelecs sind Fahrräder, die durch einen Elektromotor bis 25 km/h unterstützt werden, wenn der Fahrer in die Pedale tritt. Bei Geschwindigkeiten über 25 km/h regelt der Motor runter. Das schnelle Pedelec unterstützt Fahrende beim Treten bis zu einer Geschwindigkeit von 45 km/h. Damit gilt das S-Pedelec als Kleinkraftrad und für die Benutzung sind ein Versicherungskennzeichen, eine Betriebserlaubnis und eine Fahrerlaubnis der Klasse AM sowie das Tragen eines Helms vorgeschrieben. Ein E-Bike hingegen ist ein Elektro-Mofa, das Radfahrende bis 25 km/h unterstützt, auch wenn diese nicht in die Pedale treten. Für E-Bikes gibt es keine Helmpflicht, aber Versicherungskennzeichen, Betriebserlaubnis und mindestens ein Mofa-Führerschein sind notwendig. E-Bikes spielen am Markt keine große Rolle. Dennoch wird der Begriff E-Bike oft benutzt, obwohl eigentlich Pedelecs gemeint sind – rein rechtlich gibt es große Unterschiede zwischen Pedelecs und E-Bikes.

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  • Gibt es vom ADFC empfohlene Radtouren für meine Reiseplanung?

    Wir können die Frage eindeutig bejahen, wobei wir Ihnen die Auswahl dennoch nicht leicht machen: Der ADFC-Radurlaubsplaner „Deutschland per Rad entdecken“ stellt Ihnen mehr als 165 ausgewählte Radrouten in Deutschland vor. Zusätzlich vergibt der ADFC Sterne für Radrouten. Ähnlich wie bei Hotels sind bis zu fünf Sterne für eine ausgezeichnete Qualität möglich. Durch die Sterne erkennen Sie auf einen Blick mit welcher Güte Sie bei den ADFC-Qualitätsradrouten rechnen können.

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